Leipziger Buchmesse 2014
13. — 16. März 2014
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Jens Imanuel Baggesens Eiger

Schauplatz

«Aufklimmen. Sturz. Gebet an Apollon und die Grazien. (...). Am Hange des Gipfels entdeckt er den oben entsprudelnden Quell. Mühsames Hinaufklettern. Er nahet dem Quell ohne ihn zu sehen. Das Hurnigelloch oder die Höhle des Schicksals. Blick in die Zukunft. Der Held entflieht aus der Höhle und besteigt den höchsten der Trümmerhaufen unter den Gipfeln. Schwindlichte Niedersicht. Er erblickt tief unten die drei Sennten und glaubt Myris zu erkennen. Seine Empfindung dabei. Zaubereien der unsichtbaren Musen, die ihn zum Quell führen. Dichterweihe. Geweckt von dem parnassischen Traum steigt er endlich den Berg wieder herab. Letzte Probe des Helden. Nach geendeter Erzählung (...) erhält er von den segnenden Eltern die Hand seiner Myris. Schluß.»

Jens Imanuel Baggesen: Parthenaïs oder die Alpenreise (1803)

© Schweiz Tourismus
Zu Versepos und Autor

Griechische Mythologie meets Berner Oberland! Eros verlustiert sich auf einem Kirchweihfest im Berner Oberländischen Hasli, das Finsteraarhorn ist zum neuen Olymp geworden. Hermes fliegt aufgeregt zwischen Thunersee und Kleiner Scheidegg hin- und her, drei Jungfrauen und den Dichter Nordfrank auf einer Wanderung beschattend, denn er hat selbst ein Auge auf eine der appetitlichen Schweizerinnen geworfen.
Jens Immanuel Baggesen macht sich in seinem Versepos einen Spass daraus, eine der frühen klassischen Touristenstrecken im Berner Oberland mit Figuren aus den griechischen Mythen zu verquicken. Der Weg der drei Jungfrauen und ihres Führers ist voller Gefahren (ein Orkan auf dem Thunersee, Klüfte auf dem Wanderweg) und Versuchungen erotischer Natur.
Wer sich die zwölf Gesänge nicht in voller Länge antun mag, kann sich fürs Erste mit den Zusammenfassungen zu Beginn eines jeden Abschnittes begnügen. Auch die lesen sich höchst amüsant, siehe unser Zitat, in dem Nordfrank von seiner nächtlichen Erklimmung des «parnassischen» Eigers erzählt. Mit anderen Worten:  Lange vor der historisch verbürgten Erstbesteigung von 1858 stand eine literarische Figur ganz oben auf dem Eiger! Auf unserem Bild ist unten die Kleine Scheidegg zu sehen (dort wartet Myris auf Nordfrank), darüber die schreckenerregende Eigernordwand, die 1650 Meter lotrecht abfällt. Trotz der teils gemein zu nennenden Interventionen der geflügelten Widersacher finden Nordfrank und Myris am Ende zueinander – Happy End mit den Berner Alpen als Kulisse!
Jens Immanuel Baggesen (1764-1826) war ein dänischer Dichter und Gelehrter, der einige seiner Werke auf Deutsch verfasste. Er engagierte sich ein Leben lang für den dänisch-deutschen Kulturaustausch, zuletzt als Professor in Kiel, für dänische Literatur und Sprache. Auch mit der Schweiz verband ihn vieles: Baggesen kam 1789 erstmals nach Bern. Dort lernte er Sophie von Haller, die Enkelin Albrecht von Hallers, der als einer der Begründer der Alpenästhetik und -begeisterung gilt, kennen und lieben. 1790 heirateten die beiden. Dem Versepos «Parthenaïs» liegt eine tatsächliche Reise durchs Berner Oberland zugrunde: Im Sommer 1794 machten sich Baggesen, seine Frau Sophie und zwei Freundinnen, Grietli Gruber und Charlotte Wieland, auf zur Kleinen Scheidegg. Schon im Tagebuch verwendete Baggesen für sich selber und für die drei Damen die poetischen Namen, die dann auch in der Fiktion auftauchen: Nordfrank, Myris, Cynthia, Daphne. (BP)

Zum Ort

Eiger (3970 m ü.M.) , Mönch (4107m) und Jungfrau (4158 m) sind das Dreigestirn der Berner Alpen, und zum Ursprung des Namens erzählen sich die Grindelwaldner eine Geschichte: «Eiger» komme vom «Oger», einem Ungeheuer, das sich an der Jungfrau habe vergreifen wollen und vom Mönch daran gehindert worden sei. Weltberühmt ist die 1650 Meter hohe Eiger-Nordwand, deren Besteigungsversuche von der darunterliegenden Kleinen Scheidegg (Bild) verfolgt werden. Nach mehreren tödlichen Versuchen gelang 1938 einer aus zwei Deutschen (Anderl Heckmair und Ludwig Vörg) und zwei Österreichern (Fritz Kasparek und Heinrich Harrer) der deutsch-österreichischen Viererseilschaft die erste Durchsteigung. Sie brauchten dafür fast vier Tage. 2011 lag der Rekord des Schweizers Daniel Arnold auf derselben Route bei 2 Stunden 28 Minuten. Die Erstbesteigung des Eigergipfels gelang 1858 den Grindelwaldner Bergführern Christian Almer und Peter Bohren mit ihrem irischen Gast Charles Barrington. Normalsterbliche kommen dem Eiger so nah wie irgend möglich auf dem «Eiger Trail», einem spektakulären Wanderweg, dessen ausgesetzte Stellen gut gesichert sind.