Leipziger Buchmesse 2014
13. — 16. März 2014
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Paul Nizons Wohlensee

Schauplatz

«... ich tat eigentlich nichts auf und mit meinem Boot, ich träumte, das heißt, ich stellte mir vor, ich sei nicht auf dem Wolensee (sic!), sondern in einem norwegischen Fjord oder in Michigan oben, ein Trapper. Der See war kein richtiger See, nur eine Verbreiterung der Aare, obwohl er das Wort See im Namen trägt. Es gab da ganze Schilffelder mittendrin, wahre Verlandungen, und es gab Pfahlhütten, die Fischern gehörten, längs der Ufer, und der Wald trat überall direkt ins Wasser hernieder, er verdunkelte den See, der ein Waldsee war, ich ruderte mich durch die Schilfgebiete, flußauf, und ich ließ mich manchmal lange treiben, oder ich landete, spielte mir schwierige Landungen vor und richtiges an-Land-Treten, Neuland betreten war das, abenteuerlich, ich lebte ahnungsvoll andere Leben nach, Leben, die ich gelesen hatte oder die ich mir vorstellte, immer ging es um hartes wirkliches abenteuerliches Leben, nicht um Mußestunden, nicht um Sport, nicht um Erholung. Der Wolensee war mein Gedanken-, Wunsch- und Sehnsuchtsraum, in welchem ich Leben vorausnahm, Leben, das in der Berner Länggasse, die mich bisweilen mit einer tödlichen Öde überfiel, nicht stattfand.»

Paul Nizon: Das Jahr der Liebe (1984)

Zu Roman und Autor

Als Paul Nizon «Das Jahr der Liebe» verfasste, befand er sich in einer tiefen Lebens- und Schaffenskrise. Kurz zuvor hatte er sich von seiner Frau getrennt und 1977 Zürich in Richtung Paris verlassen. Eine verstorbene Tante hinterliess ihm dort eine Wohnung, allerdings klein und beengend, so dass Nizon sie in seinem Roman «das Schachtelzimmer» nennen wird. Kein Wunder, sind Spaziergänge, aber auch Gedankenreisen für den Erzähler lebensnotwendig. Eingeklemmt in der kleinen Stadtwohnung, entfalten sich etwa die Erinnerungen an den «Abenteuerraum» Wohlensee umso prächtiger.
Paul Nizon (geb. 1929) hat mit seinen Büchern von Anfang an polarisiert. 1970 erschien seine Streitschrift «Diskurs in der Enge». Es ist eine Auseinandersetzung mit der Kunst- und Kulturszene in einer sich nach aussen abschottenden Schweiz. Paul Nizon ist nicht mehr in die Schweiz zurückgekehrt, sondern seit seinem damaligen Aufbruch in Paris geblieben. Im Februar 2014 hat das Bundesamt für Kultur einen der beiden «Grand Prix Literatur» an Nizon verliehen, neben dem Schweizer Buchpreis die wichtigste literarische Auszeichnung hierzulande. (BP)

© KEYSTONE
Zum Ort

Der Wohlensee ist ein 25 Kilometer langer Stausee im Kanton Bern, der von der Aare durchflossen wird. Weil der See stellenweise sehr schmal ist, wirkt er eher wie ein breiter Fluss. Als das Wasserkraftwerk Mühleberg 1923 seinen Betrieb aufnahm, dachte niemand daran, dass sich die aufgestaute Aare im Laufe von wenigen Jahrzehnten in ein Naturparadies von nationaler Bedeutung verwandeln würde. Kaum eine Landschaft nahe der Hauptstadt wirkt so unberührt und natürlich. Der Wohlensee erinnert heute eher an einen norwegischen Fjord als an einen künstlich geschaffenen Stausee. Nur wenige Postautominuten vor den Toren der Bundesstadt, wechseln sich naturnahe Flussufer, einsame Buchten, Auenwälder, langgezogene Schilfflächen, bewaldete Ufer, sanfte Hügelzüge und Abhänge ab. Hier tummeln sich zahlreiche Wasservögel, Biber, Fledermäuse, Amphibien, Ringelnattern, Libellen. Ruderer finden auf dem Wohlensee ideale Bedingungen vor.