Leipziger Buchmesse 2014
13. — 16. März 2014
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Peter Motrams Bürgenstock

Schauplatz

«Als erstes fiel mir auf, daß der Vierwaldstätter See verschwunden war. Mit ihm das ganze Tal, die Nebentäler, die grünen Matten und Hügel rings um uns herum sowie auch die Terrasse, auf der wir standen, samt den Tischen, Restaurationsbetrieb und der roten Fahne, die eben noch stolz im Bergwind geflattert hatte. (...) ich sah eine erstarrte Sintflut von grünlich schimmernden weißen Wellen, die den ganzen ungeheuren Zwischenraum zwischen den Bergspitzen und mir auszufüllen schienen. In weiten Abständen schlängelten sich, wie von einem überdimensionalen Pflug gezogen, dunkle, immer breiter werdende Furchen zu Tal. Hie und da ragten schmutzige Felsen aus dem bleichen Riesenacker. Auf einem dieser Felsen, nur wenige Kilometer von uns entfernt, glaubte ich etwas zu entdecken, was mir einen kleinen Sonderschauer einjagte: eine Gruppe von Elefanten, zwei größere und ein kleinerer. [...] ›Diluvial‹ – registrierte mein Schulgedächtnis dumpf. So sahen angeblich Elefanten aus, als die Menschen noch mit Keulen aufeinander losgingen. Wenn es zutraf, daß ich diese Elefanten sah – und es kam mir im Augenblick durchaus so vor –, dann war das, worauf sie standen, ein Gletscher von der Sorte, wie man sie zur späteren Eiszeit hatte.»

Peter Motram: Der Tag, der nicht im Kalender stand (1967)

© KEYSTONE
Zu Roman und Autor

Wir schreiben das Jahr 1963. Der Ich-Erzähler, ein mittelloser Kriminalschriftsteller, steht oben auf der Hammetschwand, «einer 1130 m hohen Erhebung in den Schweizer Alpen, zu der ein Warenhauslift ohne Warenhaus hinauffährt». Dort oben drückt ihm ein unheimlicher alter Herr mit »Poseidonbart«, zerknittertem Hut und Holzbein eine blaue Nickelbrille in die Hand und nötigt ihn, diese aufzusetzen. Was dann zu sehen ist, ist Anlass zu grösster Verwirrung (Zitat). Von diesem Moment an entspinnt sich eine der unglaublichsten und schwungvollsten Geschichten der literarischen Landschaft Vierwaldstättersee. Es wird ein Mord entdeckt, der allerdings schon vor 59 Jahren verübt worden ist, und noch so einiges mehr. Denn eine reizende alte Dame kehrt nach fast sechs Jahrzehnten zum Bürgenstock zurück. Einst erlebte sie hier – als Kindermädchen – eine romantische, selbstverständlich geheime Liebesgeschichte mit einem jungen Mann aus besserer Familie. Treffpunkt der Liebenden war jeweils ein Bänkchen im verwunschenen Druiden-Park oben auf dem Berg. Als er sie sitzen liess, brach für das Mädchen eine Welt zusammen.
Im Fluidum der Räume und Zeiten löst der Ich-Erzähler souverän den mysteriösen Kriminalfall. Er muss das auch unbedingt, schon aus Eigeninteresse, denn er befindet sich in einer Notlage: Über den Mordfall scheibt er einen Roman, auf diesen Roman bekommt er vor seinem Verleger einen Vorschuss und mit diesem Vorschuss muss er wiederum die horrende Hotelrechnung auf dem Bürgenstock bezahlen… Wer ermordet wurde und wer gemordet hat, wo, womit und warum, das soll hier natürlich nicht verraten werden, es würde ein einmaliges Lesevergnügen verderben.
Peter Motrams bürgerlicher Name ist Peter Seckelmann (1902-2001), der deutsch-britische Schriftsteller emigrierte 1938 nach England, wo er für die Anti-Deutschland-Propaganda des britischen Rundfunks arbeitete. Nach dem Krieg kehrte er nach Deutschland zurück und war am Aufbau der Deutschen Presseagentur (dpa) beteiligt. Ab den fünfziger Jahren lebte er als Romancier in Zürich und schrieb auch für diverse Schweizer Medien. (BP)

Zum Ort

Felsenweg und Hammetschwandlift: Der Bürgenstock wartet mit zwei Attraktionen der Superlative auf, die bereits in der Blütezeit des Tourismus um 1900 für Aufsehen gesorgt haben. Der in die Steilwände gesprengte Felsenweg garantiert schwindelerregende Blicke in die Tiefe. Er führt 500 Meter über dem Seespiegel immer dicht am Abgrund zum Hammetschwandlift. Bei seiner Inbetriebnahme 1905 brauchte das technische Wunderwerk für die Überwindung von 152 Meter knapp drei Minuten, heute ist es noch eine (unser Bild zeigt die Spitze des Lifts mit dem Aussichtssteg). Und noch immer hält der Hammetschwandlift den Rekord des höchsten, frei stehenden Aussenlifts der Welt. Weiter unten bietet der Bürgenstock ein ganzes Hotelensemble, teils sind es Belle-Epoque-Gebäude unter Denkmalschutz, teils Neubauten von internationalen Architekturbüros, die ab 2015 zugänglich sein sollen.