Leipziger Buchmesse 2014
13. — 16. März 2014
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Hugo Balls Basel

Schauplatz

«Nachmittags ging man zur Polizei, von wegen der Anmeldung. Die Stadt war grau. Hohe Häuser, elektrische Straßenbahnen. Regenwetter und Nebel.
Das Polizeihaus war ein efeuumwachsener, burgähnlicher Bau. Der Weg hinauf führte vorbei am Gefängnis. Ein Sträfling sah mit verwildertem Kasperlgesicht durchs Eisengitter herab auf die Straße. Schweigend ging man vorbei, gedrückt, wie Katholiken vorübergehen am Kreuz. Man nimmt seinen Hut ab.
Der Rückweg führte vorbei an der Messe. Das elektrische Karussell war in vollem Betrieb. Eine blau gestrichne Karosse kam, zitternd und rasselnd, in majestätischer Fahrt aus dem Tunnel. An der Stirnseite des Wagens prangte ein Seeweibchen, Bruststück. Das schlug die Tschinelle. Rot waren die Backen, weiß ihre Brüste gelackt. Stolz flog sie dahin und zog einen ganzen Schwarm hochfarbig lackierter Wagen aus dem Tunnel. Die Dampfpfeife schrillte.
Herrn Schnepfes Varietélokal war unschwer zu finden. Wenn man öfters den Weg machte, fand man es spielend.»

Hugo Ball: Flametti oder vom Dandyismus der Armen (1918)

© KEYSTONE
Zu Roman und Autor

Eine deutsche Variétetruppe kommt nach Basel. Ihr Kapital: Ein farbenprächtiges, gefeiertes «Indianerstück». Ball schildert packend, die «Indianerszenen» erscheinen so plastisch wie die schwülstig-samtrote Atmosphäre der Vergnügungslokale. Dazu kommen Intrigen, Neid und Liebeleien, wie es sich für eine Künstlertruppe gehört, in Basel noch verstärkt durch den Umstand, dass der gewohnte Erfolg ausbleibt. In den freien Stunden streifen die Artisten durch die Stadt, probieren Leckerli, amüsieren sich auf der Herbstmesse und vergleichen den Zoologische Garten (zu seinen Ungunsten) mit Hagenbecks Tierpark in Hamburg.  Daneben erfährt man auch einiges über schlechte Honorare, miserables Essen und unbeheizte Zimmer – das Tingeltangelleben war kein Zuckerschlecken.
Die Route der Variétetruppe durch Basel (Zitat) ist schnell aufgeschlüsselt: Das Polizei- und Gefängnisgebäude ist der Lohnhof am Barfüsserplatz (heute ist darin unter anderem das Museum für Musikinstrumente untergebracht). Der Weg führt dann über den Barfüsserplatz, wo gerade die Basler Herbstmesse lockt, und endet in «Herrn Schnepfes Varietélokal» in der Aeschenvorstadt. Vorbild dafür war die Konzert- und Bierhalle «Glock». Dort ist Emmy Hennings, die Gefährtin und spätere Frau Balls, als leichtbekleidete Sängerin und Tänzerin aufgetreten. Auch Ball selbst betätigte sich zwischenzeitlich als Klavierspieler und Texter in der Variéteszene und so ist der Roman gleich mehrfach unterfüttert mit eigenen Erfahrungen.
1916 gehörte Ball zu den Mitbegründern des legendären «Cabaret Voltaire» in Zürich mit dadaistischem Programm. In den zwanziger Jahren lebte das Ehepaar Ball-Hennings im Tessin, eng befreundet mit Hermann Hesse. Ball starb 1927, seine Frau 1948 – beide sind, wie Hermann Hesse, auf dem Friedhof von Gentilino bestattet. (BP)

Zum Ort

Basel ist die kleine Weltstadt der Schweiz. Halb so gross wie Zürich und knapp kleiner als Genf, fungiert die Stadt an der Rheinbiegung im Dreiländereck Deutschland-Frankreich-Schweiz als «Tor zur Welt»: Über die Rheinhäfen bei Basel werden 10 Prozent des schweizerischen Aussenhandels abgewickelt. Basel ist die grösste Messestadt der Schweiz, beherbergt zwei der grössten globalen Pharma-Konzerne (Novartis und Sandoz) und hat die älteste Universität und die grösste Museumsdichte (40 Museen) des Landes. Das Basler Theater gehört zu den führenden deutschsprachigen Bühnen, das Stadion St. Jakob ist die grösste Sportstätte der Schweiz. Seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als ein Konflikt zwischen der konservativen Stadt und der liberalen Landschaft durch eine Kantonstrennung abgewendet wurde, ist Basel-Stadt als Stadtstaat ein Halbkanton mit nur einer Standesstimme im nationalen Parlament. Basel lebt und pflegt eine Andersartigkeit von der übrigen Deutschschweiz, die vom Dialekt (nahe am badischen Alemannisch) über das Verhalten in politischen Abstimmungen bis zum Brauchtum der Basler Fasnacht reicht, die am Montag nach Aschermittwoch mit dem «Morgeschtraich» um 0400 Uhr beginnt und die Stadt drei Tage in Beschlag nimmt. Kulinarischer Geheimtipp: Das «Läggerli», ein nur in Basel hergestelltes Lebkuchengebäck.